Weltdrogentag: Erkläuterungen zum Weltdrogentag Slogan 2008
Das Motto des diesjährigen Weltdrogentages, welcher am 26. Juni 2008 stattfindet, lautet „Drogenkontrolle kontrolliert MEIN LEBEN! Dein Leben. Dein Umfeld. Dein Platz für Drogen.“ Das Thema für das Jahr 2008 war „Drogenmissbrauch“. An dieser Stelle möchten wir auf die tiefere Bedeutung von diesem Slogan eingehen.
Drug, Set und Setting
Ernstzunehmende Risiken und Gefahren, die im Umgang mit Drogen durchaus vorhanden sind, stehen immer im Zusammenhang mit der Trias von Drug, Set und Setting, womit die Wechselwirkungen zwischen psychoaktiver Substanz, individuellen Faktoren psychischer und physiologischer Natur sowie schliesslich dem physischen und soziokulturellem Umfeld gemeint sind. Daraus folgt, dass Drogenkonsum eingebettet in einen günstigen kulturellen und sozialen Rahmen sowie unter Beachtung relevanter Informationen zu Drug, Set und Setting zu einer weitgehend gefahrenreduzierten, risikominimierten und gesellschaftsverträglichen Angelegenheit werden würde. Worum es sich bei Drug, Set und Setting genau handelt, soll nun folgend dargestellt werden:
Aus: „Drug-Checking – sinnvolles Instrumentarium der Drogenhilfe?„, Dipl.-Arbeit für die Prüfung zum Erwerb des Akademischen Grades Dipl.-Sozialarbeiter/- Sozialpädagoge, von Axel Mähler
Die Bedeutung von Drug, Set und Setting für das Drogenerlebnis wurde bereits in den sechziger Jahren von Timothy Leary hervorgehoben und später von Norman Zinberg in seinem grundlegenden Werk »Drug, Set and Setting« (1984) ausführlich analysiert. Die Grundthese dieser Forscher ist, daß der Verlauf einer Drogenerfahrung eben von diesen drei Faktoren, nämlich Drug, Set und Setting abhängig ist .Zudem werde auch die Form, die der Drogenkonsum schließlich annimmt, ob er z.B. auf kontrollierte und risikominimierte oder eher zwanghafte und gesundheitsschädigende Art erfolgt, von diesen Faktoren bestimmt .
»Drug«
9. 3. 1 Zunächst einmal ist das Drogenerlebnis pharmakologisch bedingt, weshalb einer der Faktoren als »Drug« (engl. Droge) bezeichnet wird. Hierbei spielt sowohl die Substanzqualität als auch die Substanzquantität eine Rolle. Banal ist zunächst die Feststellung, daß die Substanzqualität von den besonderen Eigenarten des jeweils ausgewählten Wirkstoffes bestimmt wird. So hat z.B. Ecstasy ganz andere »Qualitäten« als Alkohol. Darüber hinaus spielt die Reinheit des Wirkstoffes eine Rolle bezüglich der Substanzqualität. Durch beigefügte Streckmittel oder durch bei einem fehlerhaften Syntheseprozeß entstandene Verunreinigungen, kann die Drogenwirkung zum Teil in gefährlicher Weise verändert, die Droge so zu einem hochtoxischen Produkt werden. Die Wirkung einer Droge ist außerdem ganz wesentlich von ihrer Dosierung (Substanzquantität) abhängig, wie bereits der bekannte mittelalterliche Universalmediziner Theophrastus Paracelsus Von Hohenheim wußte. Auf diesen zurückgeführt wird der populäre Lehrsatz, wonach »Allein die Dosis macht, daß ein Ding kein Gift ist«. In leicht abgewandelter Form wird ihm auch häufig dieser Ausspruch zugeschrieben: »Alles ist Gift – die Dosis machts, ob´s ein tödliches Ding ist oder ein Heilmittel! « Die in den Anlagen I-III des Betäubungsmittelgesetzes aufgeführten Substanzen stellen in Bezug auf diese Regel keine Ausnahme dar. Ob sich der Konsument einer illegalisierten Substanz einem hohen gesundheitlichen Risiko aussetzt, oder ob er mit keinerlei unerwünschten Nebenwirkungen zu rechnen hat, hängt also entscheidend von der jeweiligen Qualität und Dosierung der Droge ab. Leider jedoch ist es den Benutzern verbotener Drogen infolge der Bedingungen des Drogenschwarzmarktes nahezu unmöglich, die Qualität, geschweige denn die Dosierung ihrer bevorzugten Substanz zu identifizieren.
»Set«
9. 3. 2 Der Faktor »Set« stellt den Menschen selbst als den Verlauf der Drogenerfahrung beeinflussend, sowie die Form des Drogenkonsums bestimmend in den Mittelpunkt. Mit »Set« sind die individuellen – physiologischen und psychologischen – Eigenschaften des Drogenkonsumenten gemeint. Was die psychologische Seite betrifft, so bezeichnet »Set« die innere Einstellung, die Intention der Einnahme, die Erwartung an die Drogenwirkung, die Stimmung bei der Einnahme und die Persönlichkeit des Konsumenten . Durch viele Drogen werden bereits vorhandene negative Grundstimmungen wie Angst, Schwäche, Nervosität eher verschlimmert, während positive Gefühle wie Freude und Lust intensiviert werden. Aus diesem Grund ist die Art des Drogenerlebnisses von der eigenen vorausgehenden Grundstimmung abhängig. Wichtig ist auch, welche Wirkung man sich selbst von der Droge verspricht beziehungsweise welche Wirkungen man aus dem Hörensagen heraus erwartet. Entsprechend unverantwortlich ist dewegen auch die u.a. von politischen Parteien und Medien verbreitete, vollkommen überzogene Negativpropaganda, die das Auftreten von Horror-bzw. Angsterlebnissen geradezu schürt. Wer Drogen gegenüber grundsätzlich skeptisch eingestellt ist und negative Erlebnisse erwartet, wird entsprechend einer »Self-fulfilling prophecy« auch eher negative Erfahrungen machen, während eine aufgeschlossene und optimistische Haltung eher positive Erlebnisse begünstigt.
Auch das Auftreten von Entzugserscheinungen wird beeinflußt von der Erwartungshaltung des Drogenkonsumenten, wie Fromberg und Trautmann berichten. Sie sehen es als erwiesen an, daß das Wissen um die Möglichkeit aufkommender Entzugssymptome bei Drogenabstinenz, den Drogenkonsumenten hierfür auch gleichzeitig empfänglicher macht . Schließlich muß sogar davon ausgegangen werden, daß die Erwartungshaltung eine wichtige Rolle dabei spielt, ob der Drogengebraucher sein Konsumverhalten selbstbestimmt oder eher durch die Droge fremdgesteuert erlebt, ob er also letztlich per Selbstdefinition drogenabhängig ist. Herwig-Lempp äußert sich dazu wie folgt: »Die Bedingung dafür, daß man ein Verhalten als selbstkontrolliert erleben kann, ist, daß man darauf vertraut, daß dies möglich ist. […] Erst dann, wenn man einigermaßen davon überzeugt ist, daß man es selbst in der Hand hat, wie man mit dem Konsum von Drogen umgeht, wird man auch entsprechende Erfahrungen machen können, d.h. seine Erfahrungen in dieser Weise deuten können. Es geht darum, einen Standpunkt einzunehmen, der einen die eigene Stärke und Autonomiefähigkeit erkennen und erleben läßt .« Um seine These zu untermauern, führt Lempp ein Beispiel aus dem Bereich der Eß-/Brechsucht an, das für die Berechtigung dieser Ansicht spricht:
»Die Teilnehmerinnen von Selbsthilfegruppen nahmen sich vor, sich nicht mehr als hilf- und willenlose, als vom Essen und anschließenden Erbrechen, aber auch als von Therapie und Beratung Abhängige zu fühlen und zu erleben, sondern ihren Umgang mit Essen als Teil ihrer persönlichen Normalität zu verstehen und zu akzeptieren – so wie sie sich sonst auch im Alltag als selbständige Subjekte erleben. Sie setzten einfach voraus, daß jede genau so (viel) ißt, wie für sie richtig ist. Sie gingen also davon aus, daß sie ’normal‘ sind. Susie Orbach, die diesen Ansatz für Selbsthilfegruppen entscheidend mitentwickelte formulierte:
‚Wenn eine Eßsüchtige anfängt, sich für ’normal‘ zu halten, kann sie dazu übergehen, wie ein ’normaler‘ Mensch zu esse‘ […]. In dem Moment, wo es den Frauen gelingt, sich selbst und ihr Verhalten zu akzeptieren und als für sie selbst aus ihrer Sicht und aktuellen Situation heraus richtig und sinnvoll anzuerkennen, beginnt sich ihr Eßverhalten oft allmählich und ‚wie von selbst‘ zu ’normalisieren‘. Sie lassen sich nicht mehr lähmen von der Verwendung des Suchtmodells als Erklärung für eigenes Verhalten. Sie verzichten darauf, sich Vorwürfe für ‚falsches‘ Eßverhalten zu machen, sie verwenden nicht ihre Kraft darauf, etwas Unmögliches zu versuchen (nämlich trotz der Definition Abhängigkeit ein ’nicht-abhängiges‘ Verhalten an den Tag legen zu wollen) .«
Eindrucksvoll dokumentiert wird die bedeutsame Rolle der Erwartungshaltung beim Zustandekommen der vermeintlichen Drogenwirkung auch durch ein Experiment, von dem Orben berichtet. Es handelte sich hierbei um ein Experiment »… mit vierzig Studentinnen und Studenten, bei dem während einer Party nur alkoholfreies Bier zum Ausschank kam – ohne Wissen der Teilnehmer, die davon ausgingen, daß es sich um alkoholhaltiges Bier handelte. Lediglich wenige ältere, 21 bis 22 Jahre Studenten bemerkten, daß sie an diesem Abend mehr trinken konnten als sonst, ohne die erwartete Wirkung an sich zu spüren.
Die Mehrzahl aber der Teilnehmer ‚zeigte Wirkung‘ […]. Die Studenten und Studentinnen tranken das bereitgestellte Bier durchaus mit der Absicht, sich damit anzuheitern, einen Schwips herbeizuführen oder auch sich zu betrinken: Sie glaubten, normales alkoholhaltiges Bier zu trinken, und gingen, nachdem sie eine gewisse Menge davon zu sich genommen hatten, davon aus, angeheitert, beschwipst oder auch betrunken zu sein. Dementsprechend verhielten sie sich, konnten sie doch von der Wirkung des Alkohols überzeugt sein. Die Erwartung an die Wirkung hat das Erleben der Wirkung wesentlich mitbestimmt .«
Als Bestandteil des »Set« wird auch das persönliche Wissen über die Droge angesehen, da der Konsument hierdurch in der Art seines Konsumverhaltens beeinflußt werden kann. Ob ein Drogenerlebnis positiv verläuft, ist z.B. auch davon abhängig, inwieweit bestehende Risiken bekannt sind und durch entsprechende Vorsichtsmaßnahmen vermindert werden. Leider werden den Konsumenten aber durch die Drogenverbotspolitik häufig die richtigen und wichtigen Informationen zu den illegalisierten Drogen unterschlagen, bzw. sie werden durch die Anti-Drogenstimmung in der Boulevardpresse mit falschen Informationen unmündig gehalten und verunsichert (»Drogenparanoia«). Die Möglichkeit einer Selbstermächtigung über das richtige Wissen zur Droge ist damit erheblich erschwert. Die Drogenwirkung ebenfalls mitbestimmend und deshalb auch zum »Set« hinzuzählend sind schließlich die physiologische Faktoren, wie z.B. Körpergewicht, Überempfindlichkeit gegenüber gewissen Substanzen oder auch alle Arten von Erkrankungen (z.B. Zuckerkrankheit, Bluthochdruck etc.), die ja im medizinischen Bereich zu den bekannten Kontraindikationen (Gegenanzeigen) führen.
»Setting«
9. 3. 3 Schließlich ist die Drogenwirkung auch abhängig vom sogenannten »Setting«, womit allgemein die äußeren Umstände des Konsums gemeint sind. Wird das physische, soziale und kulturelle Umfeld vom Konsumenten als passend und angenehm empfunden, beeinflußt dies den Verlauf der Drogenerfahrung in positiver Weise, während umgekehrt ein unpassendes Umfeld schnell zu negativen Erlebnissen führen kann . »Jede Veränderung des Umfeldes wird andere Eigenschaften und Qualitäten [der Droge, d.Verf.] hervorheben oder wieder verschwinden lassen .«
Das »Setting« ist außerdem mitentscheidend bei der Frage, ob man sich überhaupt für oder gegen den Konsum einer Droge entscheidet. Dies wird am Beispiel des Heroinkonsums amerikanischer Soldaten in Vietnam offensichtlich: »Wie Untersuchungen zeigen, hat eine stattliche Anzahl amerikanischer Soldaten in Vietnam im Rahmen einer für sie ungewohnten sozialen Situation, der extremen Erfahrung, an einem Krieg in einer unbekannten und feindlichen Umgebung teilzunehmen, regelmäßig Heroin konsumiert. Das Gros dieser Soldaten konnte allerdings nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten den Heroinkonsum ohne nennenswerte Probleme wieder aufgeben […].
Zurückgekehrt in die alte Umgebung war dieser Drogenkonsum nicht mehr funktionell .« Bemerkenswert, daß die Konsumenten einer Droge, von der allgemein angenommen wird, ihr regelmäßiger Konsum führe unausweichlich in die (körperliche) Abhängigkeit, den Konsum beim Vorherrschen eines günstigen Settings offenbar problemlos einstellen können. Drogenabhängigkeit läßt sich also nicht auf die Eigenschaften des konsumierten Mittels reduzieren, sondern resultiert aus dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Hierzu zählen vor allem die Situation, in welcher der Konsum stattfindet (Setting), und »… die im Rahmen dieser Situation entwickelte individuelle Wertung des Konsums des verwendeten Mittels, das heißt die Bedeutung, die dieser Konsum für das Individuum hat [Set, d. Verf.] «
Dies läßt sich auch noch mit Hilfe eines weiteren Beispiels illustrieren: »Im Bereich der Schmerzbekämpfung bei Krebspatienten zum Beispiel hat die Verwendung von Morphium einen wohldefinierten und damit eindeutigen, von einer langen Tradition bestimmten Zweck, nämlich den eines Heilmittels. Die auf dieser Grundlage, in dieser spezifischen Situation entwickelte Interpretation des Morphiumkonsums hat Einfluß auf die Form, die der Konsum annimmt, und die Probleme, die der Entzug für den Konsumenten mit sich bringt. Suchtverhalten und schwere Entzugserscheinungen werden in diesem Rahmen denn auch selten wahrgenommen .«
- Vgl. J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), a.a.O., 87 .
- Vgl. Erik Fromber/Franz Trautmann, In: Wider besseres Wissen. Bremen 1996, 19 .
- Wolfgang Schmidbauer, Jürgen vom Scheidt: Handbuch der Rauschdrogen. Frankfurt am Main 1998, 330 .
- Vgl. Patrick Walder, Günter Amendt: Ecstasy & Co., Reinbek bei Hamburg 1997, 14 .
- Vgl. E. Fromberg, F. Trautmann, ebd .
- Johannes Herwig-Lempp: Von der Sucht zur Selbstbestimmung. Dortmund 1994. 108 .
- J. Herwig-Lempp, a.a.O., 108f .
- J. Herwig-Lempp, a.a.O, 24f .
- Vgl. Artur Schroers: Ecstasy. Münster 1996, 33-35 .
- Vgl. P. Walder, G. Amendt, a.a.O., 13-15 .
- P. Walder, G. Amendt, a.a.O., 15 .
- Erik Fromberg/Franz Trautmann, In: Wider besseres Wissen. Bremen 1996, 18 .
- Erik Fromberg/Franz Trautmann, a.a.O., 18f .
- Erik Fromberg/Franz Trautmann, a.a.O., 19 .